Interpretationsdialog zu einer Ballade – jahrgangsübergreifend, multimodal und asynchron

Problemaufriss

Im Fach Deutsch in Jahrgangsstufe 7 ist die Ballade „Nis Randers“ von Otto Ernst ein Klassenarbeitsklassiker! Vermutlich aufgrund ihrer Kürze und ihres metaphernreichen Plots, der zwischen Heldenballade und naturmagischer Ballade changiert: eine aus lehrseitiger Sicht idealtypische Fundgrube für unterrichtlich zuvor erarbeitete balladentypische Merkmale. Die Verstehensleistung, die den Schüler:innen gemeinhin im Rahmen einer Klassenarbeit abverlangt wird, bleibt dabei solitär und erratisch, denn ein echter Austausch, eine persönliche Problemstellung und die Möglichkeit eines hermeneutischen Neu-, Um- und Weiterdenkens werden durch das Format eher blockiert denn befördert. Die Übersetzung in Analysetextprosa raubt dabei gerade der Ballade das, was Wulf Segebrecht als „produktiven Unruhefaktor“ (Segebrecht 2021, S. 788) bezeichnet: eine sprachliche Wucht und Direktheit, die gerade aus der spezifischen, nicht auflösbaren Melange lyrischer, epischer und dramatischer Ingredienzien entsteht. Bei Otto Ernst ist es der literarische Versuch die auf den Menschen wirkende entfesselte Natur auf adäquate Weise sprachbildlich zu fassen und zu verarbeiten. Doch lässt sich diese sprachlich evozierte Welt überhaupt übersetzen und gar modal transformieren, etwa in einem Bilderzyklus?

Bildinterpretationen zu einzelnen Strophen der Ballade von Schüler:innen, Jgst. 10

Bildadaption der Ballade als Kommunikationsanlass

Genau an dieser Stelle setzt das Unterrichtsvorhaben an, das ich im Folgenden ausbreiten möchte. Es basiert auf den Prinzipien der Referenzialität, der Positionalität und der Dialogizität. Denn es geht um das Herstellen bzw. begründete Auswählen von visuellen Interpretationen der Ballade, wodurch sowohl die eigene Sicht auf den Plot im Spannungsfeld von Textquelle und Bildadaption geschärft als auch im Austausch mit anderen verhandelt und weiterentwickelt werden soll.

Konkret wurde das Projekt in zwei Lerngruppen angebahnt. Schüler:innen einer 10. Jahrgangsstufe beschäftigten sich im Fach Kunst wiederholend mit Grundlagen der Bildkomposition. In diesem Kontext erhielten sie den Auftrag als Hilfestellung für die Siebtklässler Strophen ihrer Wahl aus der Ballade „Nis Randers“ zu visualisieren, digital oder analog, als Collage oder als Neuschöpfung. Die produzierten Bildmotive wurden sodann den Schüler:innen einer Klasse 7 in Deutsch vorgelegt. Diese sollten sich nach einer Erstbegegnung mit der Ballade in Form einer Rezitation von Ulrich Tukur via Audio-File und dem Abfassen eines persönlichen Stimmungs- und Wirkungsprotokolls einen eigenen Schwerpunkt wählen in Form eines von den Oberstufenschülern produzierten Strophenbildes, mit dem sich eingehender beschäftigen wollten. Als Lernprodukt galt es dabei eine Feedbackmail für den/die betreffenden Oberstufenschüler/in zu formulieren nach dem 3W-Prinzip: Nach einer subjektiven Rekonstruktion des persönlich Wahrnehmbaren bzw. Auffälligen und des Blickpfades durch das Bild sollte das besondere Wirkungspotential der Darstellung in Relation zur Textquelle erläutert werden, bevor abschließend konkrete Wünsche an die Bildautoren zu formulieren waren, die von Klärungen oder Verständnisfragen bis hin zu konkreten Überarbeitungsvorschlägen reichen konnten.

Wahrnehmung des Bildes:

  • Welche Bildelemente fallen dir besonders auf?
  • Wie wird dein Blick durch das Bild geleitet?
  • Was ist bei der Farbgestaltung auffällig?

Wirkung des Bildes:

  • Welche Empfindungen und Assoziationen werden bei dir durch die Bildgestaltung ausgelöst?
  • Welche sprachlichen Gestaltungsmittel im Balladentext erscheinen aus deiner Sicht besonders passend im Bild umgesetzt?

 Wünsche zum Bild:

  • Was ist dir selbst bei der bildlichen Interpretation der betreffenden Balladenstellen noch unklar und wozu würdest du gerne noch eine Meinung des Illustrators einholen?
  • Was könnte aus deiner Sicht durch deinen Vergleich der des Bildes mit der Textgrundlage noch verändert werden?

Die Textentwürfe wurden via Etherpad erstellt, das im schulischen LMS (IServ) integriert war.

Erste (Selbst-)Feedback-Schleife

Im Anschluss startete die Feedback- und Revisionsphase. Dabei erhielten die Schüler:innen eine inhaltliche Rückmeldung durch mich anhand eines kriterialen Feedbackbogens, der verschiedene gemeinsam mit den Schüler:innen im Unterricht besprochene Kategorien auführt. Die Kategorien waren wiederum skaliert durch beschreibende Niveaustufen, die somit sowohl in Teilaspekten Verbesserungsbedarfe, aber auch besondere Stärken kenntlich machen sollten.

       Feedbackbogen zum Download

Die formale Reflexion und Überarbeitung wurde demgegenüber direkt von den Schüler:innen selbst vorgenommen. Dazu sollten sie ihre verfassten Texte auf der DeepL-Seite in Englisch transferieren und wieder in dann zumindest formal korrektes Deutsch durch den Algorithmus zurückübersetzen lassen (vgl. Philippe Wampfler 2021). Beide Versionen galt es danach synoptisch in OneNote nebeneinander zu kopieren. Durch Markierungen und Randkommentare via Stift konnten so Abweichungen, Fehlerschwerpunkte, aber auch Unklarheiten bei bestimmten Anpassungen im Stil oder Ausdruck erfasst werden. Die Ergebnisse wurden dabei zu einem Gegenstand von Beratungsgesprächen, die sukzessive mit allen Schüler:innen in Folgestunden durchgeführt wurden. Nicht Korrektur und Berichtigung, sondern Sprachreflexion steht bei einem solchen Verfahren im Vordergrund. Im Gespräch wurden gemeinsam aus den selbstständig angefertigten Befunden Übungs- bzw. Entwicklungsschwerpunkte vereinbart, welche die Schüler:innen beispielsweise mit Hilfe des zu Beginn des Schuljahres generierten Fördermaterials der OnlineDiagnose angehen konnten.

Sprachreflexion via Textsynopse in OneNote: Ausgangstext neben Überarbeitungsvorschlag durch DeepL

Revisions- und Austauschphase

In der Folgedoppelstunde nahmen die Schüler:innen anhand des Rückmeldebogens und der selbst durchgeführten Sprachreflexion eine Überarbeitung ihres Textes vor und sendeten diesen an die betreffenden Schüler:innen der Oberstufe (vgl. Abb. unten). Einige wurden dabei mehrfach adressiert. In diesen Fällen wäre eine Peer-Review-Phase vorab denkbar gewesen, verbunden mit einer kollaborativen Synthese zu einer Mail im Nachgang. Ich habe mich jedoch vor allem gegen diesen Schritt entschieden, weil alle individuellen Entwürfe durchaus unterschiedliche Schwerpunkte enthielten und jede/r persönlich in einen Maildialog eintreten sollte. Die Schüler:innen, die mit ihrer Überarbeitung schnell fertig waren, nahmen sich dann ergänzend noch die Bilder vor, die im ersten Anlauf nicht gewählt wurden. So war gewährleistet, dass auch jede/r der Oberstufenschüler:innen eine Rückmeldung zu den eigens produzierten Bildern zugesendet bekam.

Schülerinnen (Jgst. 7) beim Verfassen einer Feedbackmail an die Zehntklässler:innen.

Die Zehntklässler:innen antworteten den jüngeren Schüler:innen binnen eines vereinbarten Zeitraums und

  • formulierten dabei ein kurzes wertschätzendes Feedback zum Feedback,
  • erläuterten das eigene Verständnis der Strophe und ihre Ideen zur Bildgestaltung,
  • setzten sich mit den Deutungen und Fragen der Schüler:innen auseinander.

Die Siebtklässler:innen nahmen nach Erhalt der Mails eine persönliche Klärung vor. Wurden die offenen Fragen/ Wünsche aufgenommen? Haben sich durch die Antwort weitere Interpretationsaspekte ergeben?

Peer-to Peer-Kleingruppendialog

In der Abschlussstunde wurden Dreiergruppen gebildet aus Schüler:innen, die jeweils unterschiedliche Bilder und Strophen bearbeitet haben. Diese verlasen wechselseitig untereinander ihre Mails und Antworten, wobei die jeweils Zuhörenden wesentliche Erkenntnisse aus den Korrespondenzen, ergänzend zu ihren eigenen Deutungen notieren sollten.

Im Folgenden werden beispielhaft zwei Dialogpassagen herausgegriffen, die entsprechende Klärungsfragen provoziert haben.

Bildinterpretation als digitale Collage zu Strophe 2 von Devin (Jgst. 10)

Joshua, Jgst. 7:

 […] Die grafische Umsetzung passt aus meiner Sicht besonders gut zur Strophe, da die Situation mit diesem knallig orangenen Himmel, der an Feuer erinnern soll, dramatisch gesteigert wird. Insgesamt finde ich dieses Bild sehr schön, und passend zur Strophe. Was ich mich frage, ist, warum das Meer auf dem Bild so ruhig aussieht? Wenn ich als Betrachter deines Bildes noch ein Wunsch zur Veränderung äußern dürfte, dann könnte das Meer noch ein wenig unruhiger und wilder gestaltet werden können, denn es ist ja von einem „Abgrund“ die Rede. Stattdessen sehe ich nur eine große grüne Welle, die ein bisschen an einen Hai erinnert.

 

Devin, Jgst. 10:

[…] Das mit dem Hai war tatsächlich schwierigste Part für mich: “Gleich holt sich’s der Abgrund”. Ich überlegte zunächst, was man als Abgrund bezeichnen kann und wie man es darstellen soll. Meine erste Überlegung war ein Wasserfall, der ja immer einen Höhenunterschied kennzeichnet. Da ich es aber eher weniger passend fand, suchte ich im Internet und fand schließlich eine Welle, die sich bildlich in einen Hai verwandelt. Das traf mein Verständnis der Textszene, denn mit Abgrund kann man auch das Wort Untergang in Verbindung setzen, und da das Boot schon in den Wellen gewogen wurde, lässt der Abgrund sich gut durch eine große, zerstörerische Welle darstellen, und der Untergang, oder auch einfach die Gefahr, wird dann schließlich durch den Hai, der seinen Mund ja schon geöffnet hat, verdeutlicht. Stimmt, er ist nicht so gut sichtbar, du hast ihn ja auch fast übersehen?!

Bildinterpretation als Pastellzeichnung zu Strophe 9 von Alva (Jgst. 10)

Jana, Jgst. 7:

[…] Die Wellen, die gerade brechen, sehen wie Pferdeköpfe aus. Ein Mensch liegt unter einem Pferd. Es sieht so aus, als ob das Pferd den Menschen gerade zertrampeln will, der sich versucht zu wehren. Ist es einer der Friesen? Ich würde mir wünschen, du hättest ihm noch ein Gesicht gemalt, damit man ihn besser erkennen kann. […].

Alva, Jgst. 10

[…] Ähnlich wie du es aufgefasst hattest, dass die Wellenpferde den Menschen niedertrampeln, ging es mir darum, dass anhand der aussichtslosen Situation einer möglichen Person verdeutlicht wird, dass die Wellen sie unter sich vergraben und in die Tiefe reißen können. Mir ging es also nicht darum der Person ein Gesicht zu geben und ihr einen Namen zu zuordnen, sondern die erbarmungslose Wildheit der Wellen einzufangen, denen es völlig gleichgültig ist, wen sie in den Tod stürzen.

 

Beide Beispiele zeigen auf, dass die Visualisierungen nicht nur eine Umsetzung im Text genutzter Sprachbilder darstellen, sondern ihrerseits weiterführende symbolhafte Darstellungen hervorbringen, die eigene bildnerische Positionierungen sichtbar machen und zu vertiefenden Verständnissen der jeweiligen Szenen beitragen.

In ihren anschließenden Reflexionen hoben die jüngeren Schüler:innen den wertschätzenden Austausch sowie den Umstand hervor, dass es sich bei den Künstlern um keine „Fremden“, sondern Schüler:innen derselben Schule handele. „Meiner Meinung nach hat es den Zusammenhalt in der Schule gestärkt“, schreibt eine Schülerin in ihrem Fazit.

Persönliches Fazit

Ein wesentlicher Faktor für das Gelingen des jahrgangsübergreifenden Interpretationsdialogs war die Transparenz hinsichtlich der verschiedenen Phasen. So konnte bei den Siebtklässlerinnen bereits frühzeitig die Erwartungshaltung aufgebrochen werden, dass die Leistungsüberprüfung sich ausschließlich auf einen zeitlich begrenzten Rahmen einer Klassenarbeit bezieht. Durch den authentischen Dialog mit Mitschüler:innen höherer Jahrgänge und die damit verbundene soziale Konstellation wurde eine ernsthafte, prozesshafte Weiterverarbeitung, Überprüfung und gemeinschaftliche Modifikation eigener Interpretationshypothesen geradezu herausgefordert.

Selbstkritisch muss ich jedoch anmerken, dass mein Planungsfokus eher einseitig auf der Jahrgangsstufe 7 lag und ich den sich logisch aufdrängenden Schritt bei den Oberstufenschüler:innen nicht konsequent weiterverfolgt habe. So wäre auch hier eine bildliche Modifikation bzw. Transformation der visuellen Deutungshypothesen auf der Grundlage der Rückmeldungen der Siebtklässler:innen sinnvoll gewesen.

Insgesamt zeigt dieses fach- und jahrgangsübergreifende Experiment jedoch auf, dass die Revitalisierung eines historischen Textes jenseits seines kanonischen Gebrauchs über seine produktive Aneignung und seine soziale Verhandlung in heterogenen Gruppenkonstellationen einen Beitrag zu einer „gelebten Wir-Kultur“ (vgl. Langela/ Wampfler) im Raum Schule liefert.

Die Demokratisierung des Pinsels oder die Qualitäten eines TV-Malers: Bob Ross im Kunstunterricht

Ein Tweet von Björn Nölte, in dem er mit der Community eine unlängst erworbene Devotionalie von Bob Ross feiert (s.u.), ist Anlass für diesen Blogeintrag. Es soll hier gezeigt werden, warum es sich lohnt seine Videos nicht nur vergnüglich zu rezipieren, sondern auch zum Gegenstand einer gemeinsamen bildnerischen Reflexion im (Kunst-)Unterricht zu machen.

Jenseits des Kitsch-Etikettes 

Jede Nacht und am Wochenende auch tagsüber produziert der amerikanische TV-Maler Bob Ross im bayrischen Bildungskanal BR alpha ein Landschaftsbild in der von ihm individuell adaptierten „Nass-in-Nass-Technik“. Aus einem verfügbaren Standardrepertoire an Bäumen, Bergen und Gewässern entsteht dabei jedes Mal in nur einer halben Stunde ein fertiges Ölbild auf einer zuvor mit Flüssigweiß grundierten (leeren) Leinwand (vgl. Abb. 1).

Versieht man das harmonistische Oeuvre von Bob Ross mit dem Epithon „kitschig“, so entspricht dies vermutlich nicht nur dem kunstpädagogischen common sense. Obwohl „Kitsch“ spätestens seit den Arbeiten von Jeff Koons und dessen Nobilitierung des Banalen längst kein Ausschlusskriterium mehr für Kunst bzw. den Kunstdiskurs darstellt (vgl. Liessmann 2002), verweist die Verleihung des „Kitsch“-Etiketts noch immer auf die faktische Gültigkeit eines bildungsbürgerlichen Distinktionsparadigmas. Die Minderwertigkeit kitschiger Artefakte begründet etwa Pierre Bourdieu mit deren unmittelbarer Zugänglichkeit. Kitsch ist demzufolge das, was „von der Bildung her wenig ‚kostet’“ (Bourdieu 1987, S. 757), also keines kulturellen Kapitals zu seiner Dekodierung und reflexiven Aneignung bedarf.

Abb. 1: Selbstversuch des Autors: Eine Landschaft á la Bob Ross. Öl auf Malkarton, 60x40cm.

Wenngleich im Kunstunterricht die Werke eines Bob Ross als Ankerpunkt für eine Auseinandersetzung mit Definitionen und kriterialen Grundlagen des Kitsches geeignet scheinen, wird an dieser Stelle eine andere Fokussetzung vorgenommen: nicht das fertige Produkt sondern dessen Gestaltungsprozess soll in den Blick genommen werden. Denn der posthume Kultstatus des bereits 1995 verstorbenen Bob Ross gerade auch unter Jugendlichen, erklärt sich vor allem durch die Art und Weise der dort praktizierten „Kunst“-Vermittlung. Insbesondere die Differenzqualitäten zu propagierten Konzepten der schulischen Kunstdidaktik erweisen sich dabei als produktive Basis für eine Erörterung von Gütekriterien und qualitativen Bedingungsfaktoren für das Lehren und Lernen bildnerischen Gestaltungsvermögens. Erprobt wurde dieses Vorhaben in einem Kunst-Grundkurs der Jahrgangsstufe 12 an dem Gymnasium Harsewinkel. Der metakognitive Schwerpunkt der dreistündigen Unterrichtssequenz wurde dabei zuvor mit den Kursteilnehmern abgesprochen. Mit Hilfe einer Bob Ross Workshop-DVD, Online-Videos im Stream, Laptops und Pads sowie entsprechendem Malequipment hatten die Schüler:innen eine Doppelstunde Zeit, individuelle Video-Lehrgänge ebenso wie die dazu erforderlichen Techniken und Utensilien auszuprobieren. Einige Schülerinnen versuchten sich gleich am kompositorischen Gesamtaufbau eines Bildes (vgl. Abb. 2), andere konzentrierten sich demgegenüber auf die Einübung einzelner Gestaltungstechniken zur Genese bestimmter Bildkomponenten, wie z.B. diverser Nadel- oder Laubbäume. Die nachfolgenden Leitfragen dienten dabei als Orientierungspunkt für die Praxis- und anschließende Reflexionsphase:

Abb. 2: Schülerin (Kl. 12) bei der Erzeugung eines Bergmassivs nach Anleitung

Qualität der Lehre?

Der medialisierte Lehrgang installiert ein traditionelles Experten- Novizenverhältnis, in dem die Schüler:innen vor dem TV das nachzuvollziehen haben, was der Lehrer vorgibt. Gleichwohl hält Bob Ross seinen Frontalunterricht so ab, dass die Jugendlichen zum Ausharren und Ausprobieren animiert werden. Mit ruhiger und unaufdringlicher Stimme gibt er dabei Einblick sowohl in operationale Vorgänge des Farbauftrags und der Pinselführung als auch in seine eigenen z.T. situativ generierten Gestaltungsvorhaben. Gerade durch ein solches explizites Modellieren innerer Gedankengänge im „Dialog“ mit dem Bild wirken seine Ausführungen für die Schüler:innen authentisch und vorbildhaft. Zugleich nimmt er sein Publikum ernst, indem er stets auch die subjektive Relativität seiner bildnerischen Entscheidungsprozesse betont und seine Schüler:innen zu jeweils individuell kompositorischen Abweichungen ermuntert und auffordert. Die Videos via Stream oder DVD ermöglichen überdies ein komfortables Anhalten und „Spulen“ des Lehrgangs und damit eine Anpassung desselben an die unterschiedlichen Arbeitstempi der Schüler:innen.

Qualität der Technik?

Zu einer sinnvollen Erweiterung der schulisch habitualisierten Malpraxis tragen weiterhin die von Bob Ross vorgeführten Techniktipps bei. Vor allem die zielgerichtete Verwendung des 2-Zoll-Pinsels (vgl. Abb. 3) und des Spachtels zur Erzeugung naturalistischer Effekte verhelfen – mit Bezug auf Heinrich Wölfflin– zu der Aufwertung eines malerischen gegenüber einem einseitig linearen Darstellungsstil. Anstatt die Konturzeichnung als notwendige Basis figurativer Malerei anzuerkennen, erzeugt Bob Ross seine illusionistischen Bildelemente jeweils aus einer Synthese abstrakter Malspuren. Besondere Beachtung verdient dabei die dargebotene Varianz der Pinselführung und des Farbauftrags. Vom kreuzweisen Pinselduktus bis hin zum Tupfen und Stoßen des Pinsels wird den Schüler:innenn hier die vielfältige Einsatzfähigkeit eines einzelnen Malmediums präsentiert. Die eigene Experimentalphase verdeutlicht den Schüler:innen zudem, dass die scheinbar so simpel anmutenden Handlungsvollzüge selbst einer sukzessiven Übung bedürfen, bevor sie die intentionsgemäßen Effekte hervorbringen.

Abb. 3: Verwendete 2-Zoll-Pinsel und Malmesser.

Qualität der Materialen?

Dass die Bob Ross Inc. gegenwärtig noch immer ein prosperierendes Wirtschaftunternehmen darstellt, hängt sicherlich auch zu einem Großteil von dem erfolgreichen Vertrieb der in der TV-Sendung „Joy of Painting“ beworbenen Malutensilien ab. Für die Unterrichtssequenz wurde von dem Schuletat ein Grundsortiment, bestehend aus 2-Zoll-Pinsel, Fächerpinsel, Spachtel und Scriptliner im halben Klassensatz angeschafft. Kontrastiv dazu erhielten die Schülerinnen allerdings auch entsprechende Simulakren, wie Lasurpinsel und Plastikspachtel aus dem Baummarkt. Der Vergleich sollte die Kursteilnehmer zu einer Kosten-Nutzenanalyse motivieren. So erkannten die Schülerinnen etwa, dass der mit Kontergewichten im Griff ausgestattete Bob-Ross-Malspachtel sich wesentlich besser als sein Plastikpendant dazu eignet, pastose Brechungen des Titanweiß zu erzielen, welche z.B. für die illusionistische Darstellung von Gebirgsschnee benötigt werden. Insgesamt steigert eine solche Kontrastierung  zum einen die Sensibilität der Schüler:innen für hochwertige Materialien, zum anderen werden diese jedoch auch zu einer kreativen Suche nach kostengünstigen Alternativen animiert.

Innerhalb der anschließenden Reflexionsphase kam der Begriff „kitsch“ nicht einmal auf. Dies zeigt einmal mehr, dass zwar die Rezeption eines Bob Ross Bildes kitschig anmuten kann, nicht aber das selbsttätig bewusste Praktizieren der zugrundeliegenden Technik sowie das Nachdenken über dessen Vermittlung – Je größer der Fundus an verfügbaren bildnerischen Verfahren und Lernmethoden, desto höher die potentielle Substanzdichte entsprechender Qualitätsurteile der Schüler:innen auf diesem Sektor.

(Der Text basiert auf einem älteren Beitrag, der erstmals in der BÖKWE, dem Fachblatt des Berufsverbandes Österreichischer Kunst- und Werkerzieher:innen, H. 4, 2010, erschienen ist.)

Literatur:

  • Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987 (=suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Bd. 658).
  • Heger, Christian: Der Maler ist tot, es lebe der Maler. Fernseh-Kult: Bob Ross. In: FAZ (30.09.2009).
  • Liessmann, Konrad, Paul: Kitsch! oder Warum der schlechte Geschmack der eigentlich gute ist. Wien: Brandstätter 2002.

Konzeptskizze für altersdifferenzierte Präsenz- und Betreuungsszenarien (Sekundarstufe I und II)

Vorüberlegungen

  • An den Schulen ist es nicht mehr möglich, Präsenzunterricht als Regelbetrieb in vollem Stundenumfang durchzuführen, beispielsweise, weil viele Kolleg*innen und/oder Schüler*innen erkrankt oder in Quarantäne sind oder die Inzidenz lokal sehr hoch ist.
  • Bestimmte Gruppenmodelle geteilter Lerngruppen haben sich als infektionseindämmend erwiesen. Das Modell des Network Chain Cohorting stellt Lerngruppen beispielsweise epidemiologisch und raumtechnisch nach privaten Kontakten zusammen und lässt Schüler*innengruppen für jeweils längere Zeit in die Schule kommen, damit im Fall einer Infektion nur kleine Netzwerke (und wenige unterrichtende Lehrkräfte) in Quarantäne geschickt werden müssen.
  • Die Schulen insbesondere im gebundenen Ganztag haben aber u.a. den Auftrag, die Schüler*innen auch zu betreuen, insbesondere in der Erprobungsstufe. 
  • Die bisherige Form des Distanzlernens, das heißt Betreuung von Lerngruppen jenseits des regulären Stundenplans, kann in diesem Setting nicht praktiziert werden, da sie neben dem Präsenzunterricht (auch wenn er einschränkt ist) zu einer Doppelbelastung der Lehrer*innen führen würde. 
  • Die Präsenzstundenpläne können im eingeschränkten Regelbetrieb zum einen aus pädagogischen Gründen, zum anderen wegen fehlender technischer Ausstattung nicht 1:1 in einen synchronen Distanzunterricht überführt werden.
  • Daher brauchen die Schulen ein Modell eines eingeschränkten Regelbetriebs, der es erlaubt 
    • (1) zu differenzieren: die jüngsten Schüler*innen sollen (auch laut Empfehlung des RKI und laut Schulmail vom 20.10.2020) möglichst durchgängig in der Schule betreut werden, bei den älteren Schüler*innen kann man mit Modellen aus Präsenz und Distanz arbeiten.
    • (2) zu flexibilisieren: jede Schule sollte nach Maßgabe der eigenen Voraussetzungen (technisch, personell und infrastrukturell) entscheiden, welche Jahrgangsstufen in welchem genauen Turnus in der Schule sind.
    • (3) Personal in Präsenz vor Ort flexibel einzuteilen: um die Study Hall mit ausreichend Personal zu besetzen (und damit einer Benachteiligung bestimmter Schüler*innen vorzubeugen), soll an anderer Stelle Personal eingespart werden.
    • (4) durch die ständige Anwesenheit der Erprobungsstufe wird an der Schule auch keine zusätzliche Notbetreuung mehr benötigt. 

Konzept geteilter Lerngruppen in Präsenz vs. Hybridmodelle

Das hier vorgeschlagene Konzept unterscheidet sich von dem in einigen Bundesländern (z.B. Niedersachsen) bereits praktizierten Hybridmodellen. Diese sehen z.B. eine pauschale Halbierung der Lerngruppen vor, wobei immer ein Teil in Präsenz, der andere in Distanz unterrichtet wird. Organisatorisch scheint dieses Modell ohne weiteren zusätzlichen Aufwand für jede Schule adaptierbar, allerdings weist es einige Schwächen auf:

  1. Ein durchgehender Betreuungsanspruch insbesondere für die Erprobungsstufe lässt sich mit einem Hybridmodell nicht realisieren, da auch in den Klassen 5 und 6 immer die Hälfte der Schülerschaft systemisch fehlt. Gerade für jüngere Schülerinnen und Schüler erscheint zudem eine durchgehende tägliche Rhythmisierung und Strukturierung des Schulalltages unerlässlich. (Siehe Punkt (1) oben). Weiterhin ist an gebundenen Ganztagsschulen die Möglichkeit einer durchgehenden Mittagsverpflegung für die Schüler*innen der Erprobungsstufe gegeben.
  2. Hybridmodelle führen – im Falle nicht konzeptionell entwickelter Varianten, die avancierte Blended-Learning-Konzepte zu Grunde legen – zu einer systemischen Doppelbelastung der Lehrer*innen, die immer synchron im Präsenzunterricht gebunden sind und parallel dazu ihre Lerngruppe auf Distanz betreuen müssen. Dies erfordert eine “doppelte Unterrichtsplanung” und führt eventuell zu einem Auseinanderentwickeln der Lernstände der geteilten Lerngruppen.  
  3. Mit Hybridmodellen ist deutlich schwieriger zu flexibilisieren (unter 1. schon in der Erprobungsstufe zu sehen). Hier sind insbesondere die infrastrukturellen Voraussetzungen (z.B. haben einige Schulen bestimmte Jahrgangsstufen 1:1 mit digitalen Endgeräten ausgestattet, anderen fehlen Ausstattung und WLAN) und die personellen Gegebenheiten der jeweiligen Schule nur schwer mit in die Planung einzubeziehen.
  4. Hybridmodelle erschweren die Durchführung parallel zu stellender Klausuren im Präsenzunterricht, insbesondere in der Oberstufe, in der die rechtlichen Möglichkeiten für alternative Leistungsformate – abgesehen von der Facharbeit – zur Zeit noch eingeschränkter sind. 

Beispiel-Präsenzpläne für 4 Wochen

Das Konzept der “geteilten Lerngruppen in Präsenz” halbiert wie Hybridmodelle die Schülerschaft, allerdings hier unterteilt nach Jahrgängen, d.h., bei einer Schule mit acht Jahrgangsstufen sind immer vier Jahrgänge in Präsenz sowie vier in Distanz. Dieses vorgeschlagene Beispiel sorgt für einen durchgehenden Präsenzunterricht der Erprobungsstufe. Die übrigen Jahrgangsstufen kommen in einem rollierenden System, wobei auch hier schulformspezifisch und mit Blick auf die Raum- und Personalsituation weitere Jahrgangsstufen priorisiert werden können. Für eine Sekundarschule und Gesamtschule wäre dies etwa noch die Jahrgangsstufe 10 als Abschlussjahrgang. In einem 4-Wochenplan etwa würden bei uns (Gymnasium Harsewinkel) etwa der Abschlussjahrgang Q2 2x in Präsenz und 2x in Distanz erscheinen, die Jahrgangsstufe 9 hingegen nur 1x in Präsenz und 3x in Distanz. Hintergrund ist der Umstand, dass die Jahrgangsstufe 9 in Harsewinkel seit 2 Jahren mit digitalen Endgeräten ausgestattet und das asynchrone, selbstverantwortliche Arbeiten gewöhnt ist. Nach einem ähnlichen Prinzip der rollierenden Anwesenheit verschiedener Jahrgänge wurden z.B. auch am Gymnasium Bethel jeweils ganze Jahrgänge in geteilten Lerngruppen mit durchgängiger Fachlehrerpräsenz in allen Lerngruppen beschult, was dadurch möglich wurde, dass das zeitliche Grundmuster von 45 bzw. 90 Minuten aufgebrochen und durch Kurzstunden von 35 bzw. 70 Minuten ersetzt wurde. Wir zeigen diese Beispiele an dieser Stelle auf, um deutlich zu machen, dass verschiedene Schulen je nach personeller und technischer Ausstattung verschiedene Lösungen finden können und sollten.

Andere Schulen können, abhängig von den strukturellen Voraussetzungen, andere Lösungen entwickeln und ihre Modelle gern in der Kommentarfunktion vorstellen.

Beispielplanung für ein Gymnasium (G8)

W. 1 Jgst. 5(zusätzlich betreut durch L der Jgst. 9) Jgst. 6(zusätzlich betreut durch L der Jgst. 8) Jgst. 7(zusätzlich betreut durch L der EF) Jgst. Q2 Study-Hall/ Study Rooms
W. 2 Jgst. 5(zusätzlich betreut durch L der Jgst. Q2) Jgst. 6(zusätzlich betreut durch L der Jgst. 9 ) Jgst. 8(ggfs. zusätzlich betreut durch L der Jgst. 7) Jgst. Q1 Study-Hall/ Study Rooms
W. 3 Jgst. 5(zusätzlich betreut durch L der Jgst. 8) Jgst. 6(zusätzlich betreut durch L der Jgst. Q1) Jgst. 9 Jgst. EF Study-Hall/ Study Rooms
W. 4 Jgst. 5(zusätzlich betreut durch L der Jgst. 9) Jgst. 6(zusätzlich betreut durch L der Jgst. 8) Jgst. 7(zusätzlich betreut durch L der Jgst. EF) Jgst. Q2 Study-Hall/ Study Rooms
und so weiter          

Beispielplanung für eine Gesamtschule (G9)

W. 1 Jgst. 5(zusätzlich betreut durch L der Jgst. 9) Jgst. 6(zusätzlich betreut durch L der Jgst. 8) Jgst. 10 Jgst. Q2 Study-Hall / Study Rooms
W. 2 Jgst. 5(zusätzlich betreut durch L der Jgst. Q2) Jgst. 7(zusätzlich betreut durch L der Jgst. 9 ) Jgst. 8(ggfs. zusätzlich betreut durch L der Jgst. EF) Jgst. Q1 Study-Hall / zusätzlich vor allem für die 6er: klassenbezogene SR
W. 3 Jgst. 5(zusätzlich betreut durch L der Jgst. 8) Jgst. 6(zusätzlich betreut durch L der Jgst. Q1) Jgst. 9 Jgst. EF Study-Hall / Study Rooms
W. 4 Jgst. 5(zusätzlich betreut durch L der Jgst. 9) Jgst. 7(zusätzlich betreut durch L der Jgst. 8) Jgst. 10 Jgst. Q2 Study-Hall / zusätzlich vor allem für die 6er: klassenbezogene SR
und so weiter          

Unterstützende Betreuungs- und Fördermaßnahmen in Präsenz

Generell wird während der Phase des eingeschränkten Regelbetriebs der Study Hall und den Study Rooms als schulisch betreuten präsentischen Lernorten eine zentrale Bedeutung zukommen. Schülerinnen und Schüler der Mittel-und Oberstufe können dabei die vorhandenen strukturellen und personellen Ressourcen vor Ort in Anspruch nehmen. Das kann unter Umständen auch heißen, dass am schulischen Arbeitsplatz ein Handapparat mit Büchern und analogen Lernhilfen eingerichtet wird. Konkret sind dazu z.B. auch die Lehrerinnen und Lehrer aus den Kernfächern in den Aufsichten eingeplant. Ggfs. können durchaus auch mehrere Study Halls (nach Jahrgängen) etabliert werden.

Über ein Buchungssystem sind die Plätze und ggf. besondere Förder- und Betreuungsbedarfe in der Study Hall zu erfassen. Dabei können bei Bedarf auch weitere digitale Endgeräte der Schule in Anspruch genommen werden. Zudem können die Klassenleitungen im Falle besonderer Förderbedarfe oder bei Schwierigkeiten der Selbstregulation Schüler*innen verpflichtend in die Study Hall einbestellen (selektive Präsenzen).

Für die Oberstufe besteht die Möglichkeit, sich für eine bestimmte Zeit in (kleine) Räume, sogenannte  “Study Rooms”, einzubuchen und diese für Phasen insbesondere der fachlichen Kooperation und Kollaboration zu nutzen. 

Didaktische Grundannahmen für das Arbeiten der Schülerinnen und Schüler zu Hause

Das hier ausgearbeitete Modell gewährleistet in den einzelnen Lerngruppen ein grundsätzlich gleichschrittiges Vorgehen. So alternieren für alle Schülerinnen und Schüler Phasen des synchronen Lernens im geteilten Klassenverband in Präsenz und Phasen des asynchronen, selbstverantwortlichen Lernens in Distanz. Die Rhythmisierung ist zwar individuell angepasst, folgt dabei aber konsequent einem Blended-Learning-Konzept. Dies bedeutet, dass im Idealfall Input- und Erarbeitungsphasen in Distanz stattfinden und von den Schülerinnen und Schülern mit Scaffolding der Lehrkräfte selbstständig absolviert werden. Die Präsenzphasen dienen sodann der plenaren Diskussion, Vertiefung und Anwendung des Gelernten. Nichtsdestotrotz ermöglicht dieses Modell auch in den Phasen des Distanzunterrichts eine stärkere lehrseitige Unterstützung, da durch die Absenz von je vier Jahrgängen mehr personelle Ressourcen freigesetzt werden als für die Betreuung der “verdoppelten Jahrgänge” vor Ort benötigt werden (s. Tabelle oben). 

Im Einzelfall bedeutet dies, dass im Sinne der Bildungsgerechtigkeit und gesellschaftsstabilisierenden Funktion, die Schule zugeschrieben wird, genügend Personal bereit steht für eine zusätzliche Unterstützung in der Study Hall. Ggf. ist es bei entsprechenden Raumkapazitäten auch möglich, jahrgangsbezogene Study Halls (etwa in der Aula, dem Selbstlernzentrum, großen Konferenzräumen etc.) einzurichten und von Lehrer*innen betreuen zu lassen, die die Schüler*innen aktuell selbst unterrichten. Weiterhin sind so durch das jeweils freigesetzte Personal flankierende Videokonferenzen für die Schülerinnen und Schüler in Distanz realisierbar. Auf der Grundlage zahlreicher Evaluationen mit Schülern und Eltern hat sich herausgestellt, dass eine zentrale Funktion der Videokonferenzen weniger die synchrone Wissensvermittlung darstellt, sondern diese vor allem der Strukturierung des Lerntages und Beziehungspflege (etwa durch morgendlich ritualisierte Startveranstaltungen) dienen sowie zur 1:1-Beratung im Kontext von Sprechzeiten genutzt werden können.

Organisatorische Bedingungen

Bei der Erstellung der neuen Raumpläne für altersdifferenzierte Präsenz ist vor allem darauf zu achten, dass die geteilten Lerngruppen nebeneinander liegen und im Idealfall die Jahrgangsstufen auch in einem Gebäude untergebracht sind. Damit sind die “Laufwege” für die betreuenden Lehrer*innen kurz und die Durchmischung mit anderen Stufen während der Pausen wird unterbunden.

  • bei der Betreuung sollten feste Lehrer*innen-“Klassenbuddies” im Idealfall unter Nutzung des bisherigen Stundenplaneinsatzes geschaffen werden, z.B. Lehrer*innen, die die 9a am Montag unterrichtet hätten, betreuen an diesem Tag die 5a)
  • Neben dem Stundenplan für den Präsenzunterricht sollten insbesondere denjenigen Klassen und Jahrgängen, die nicht durchgängig in Präsenz in der Schule sind, Wochenpläne oder  Padlets zur Verfügung gestellt werden, die Aufgaben und Projekte transparent abbilden. 
  • Die Fachlehrer*innen einer Klasse sollten sich vor allem ab Klasse 7 wöchentlich im Klassenteam über die Aufgaben und Projekte der Klassen abstimmen, damit eine sinnvolle Mischung aus unterschiedlichen Herausforderungen für die Schüler*innen entsteht und sich auch asynchrone Formen der Leistungsüberprüfung nicht ballen. 
  • Eltern und v.a. Schüler*innen ab Klasse 7 werden regelmäßig zu ihrer Arbeitsbelastung im Distanzunterricht gefragt; in Rücksprache mit den Elternvertreter*innen sollten danach ggf. zügig Anpassungen vorgenommen werden. Dazu sollten in zweiwöchigem Rhythmus Abstimmungstermine mit den Elternpflegschaftsvorsitzenden vorgenommen werden. 
  • Für die Oberstufe (insbesondere die EF) sollte mit Blick auf das Distanzlernen ein Tutor*innensystem etabliert werden, bei dem 4-5 Schüler*innen eine*n Tutor*in haben, der sie mit Blick auf Arbeitsbelastung, soziale Situation u.ä. berät. In der Q1 / Q2 kann diese Aufgabe auch von den Leistungskurslehrer*innen wahrgenommen werden. 
  • Alle Lehrer*innen sollten ein Logbuch führen, aus dem insbesondere mit Blick auf das Distanzlernen ersichtlich ist, welche curricularen Schwerpunkte gesetzt wurden. 
  • Dadurch, dass die Erprobungsstufe immer in der Schule ist und die Klassen getrennt werden, muss eine Jahrgangsstufe in andere Räumlichkeiten ausweichen. daher muss ein konsistenter Raumplan erstellt werden.
  • Für eine Teilung der Lerngruppen ist insbesondere mit Blick auf den Sportunterricht (oftmals beschränkte Hallen-/Raumkapazitäten) für sport-affine Beschäftigung zu sorgen.

Offener Brief zur Schulpolitik in der Pandemie

An den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Armin Laschet
An die Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Frau Yvonne Gebauer

Offener Brief zur Schulpolitik in der Pandemie

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Laschet, sehr geehrte Frau Ministerin Gebauer,

als verantwortlicher Schulleiter wende ich mich heute an Sie – in Sorge um den Fortbestand des Unterrichts und die Gesundheit aller Menschen in der Schulgemeinde.

Die Strategie eines absoluten Vorrangs von Präsenzunterricht führt unter den gegenwärtigen Bedingungen zu einer weiteren, exponentiellen Ausbreitung des Covid-19-Virus in den Schulgemeinden (und darüber hinaus) sowie in der Folge zu inzwischen weit um sich greifendem Ausfall von Unterricht.

Der Vorrang des Präsenzunterrichts beruht auf der richtigen und natürlich nachvollziehbaren Sorge um das psychische Wohl der Kinder, der – nach den Erfahrungen der „ersten Welle“ – Vermeidung einer Überlastung der Familien und dem Ziel der Bildungsgerechtigkeit. Diese Sorge verkehrt sich aber in ihr Gegenteil, wenn sie in der Praxis zu Problemen führt, die weder von den Schulen noch von den Elternhäusern dann mehr aufgelöst werden können.

Die selbstverständlich richtige Grundüberzeugung der gegenwärtigen Schulpolitik, dass „Schüler*innen soziale Kontakte brauchen“, steht im Widerspruch zum Umgang mit der Pandemie in der Gesamtgesellschaft, der gerade auf eine größtmögliche Reduzierung von Kontakten beruht. Die aktuelleEntwicklung zeigt, dass Schulen – jedenfalls unter den gegenwärtigen räumlichen und personellen Bedingungen – kein „sicherer Ort“ sind, sondern sich die Pandemie auch hier exponentiell ausbreitet.

Ich möchte betonen, dass nach meinem Eindruck alle Kolleg*innen ebenso wie die verantwortlichen Mitarbeiter*innen der Schulträger und der Schulaufsicht mit vollem Engagement und Verantwortungsbewusstsein alles unternehmen, um die Infektionsgefahr in den Schulen gering zu halten und die sozialen, psychischen und kognitiven Folgen der Pandemie abzufedern. Dennoch wird immer deutlicher, dass die Präventionsmaßnahmen, die uns zur Verfügung stehen, wie Alltagsmasken, Desinfektion und Lüften nicht ausreichend sind und nicht ausreichend sein können. Ich kann mich deshalb des Eindrucks nicht erwehren, dass Lehrer*innen und Schüler*innen ohne ausreichenden Schutz in eine offensichtliche Risikosituation geschickt werden und zugleich der Fortbestand des Unterrichts gefährdet wird.

In dieser Situation scheint es mir zwingend notwendig, differenziert auf die gegenwärtig zentralen Funktionen von Schule zu reagieren: Betreuung jüngerer Schüler*innen in der Schule sowie soziale Einbindung und Bildungschancen für alle.

Mein Appell ist vor diesem Hintergrund, den Präsenzunterricht auf die jüngeren Jahrgänge und die Abschlussjahrgänge zu reduzieren und dort – durch das dann gewonnene Raumangebot – die Infektionsgefahr für alle Beteiligten wirksam zu verringern.

Für die älteren Jahrgänge liegen von pädagogischer und schulorganisatorischer Seite längst ausgearbeitete Konzepte für Distanz- oder Hybridunterricht vor, die lernförderlich sind und die vor allem auch den sozialen und kommunikativen Bedürfnissen unserer Schüler*innen Rechnung tragen. Derartige Konzepte enthalten auch Elemente, die solche Kinder wirksam unterstützen, die über keine räumlichen oder apparativen Bedingungen für das häusliche Lernen verfügen. Negative Konsequenzen für die Bildungsgerechtigkeit können so – jedenfalls weitgehend – vermieden werden.

Deshalb plädiere ich dafür, für einen gewissen Zeitraum den Schulen in Abstimmung mit der Elternschaft die Möglichkeit zu geben, in manchen Jahrgängen den Präsenzunterricht zu reduzieren und zum Beispiel im Wochenwechsel zu organisieren. Auf diese Weise kann sowohl der Infektionsschutz wie auch die Fortdauer des Unterrichts für alle Schüler*innen eher gesichert werden.

Wir sind uns alle einig, dass ein durchgehender Präsenzunterricht die optimale Lernumgebung für unsere Schülerinnen und Schüler darstellt. In der gegenwärtigen, pandemischen Situation ist dieses Ziel aber nicht erreichbar, sondern wird zunehmend zu einer reinen Fiktion.

Sie verstehen hoffentlich, dass ich als Schulleiter nicht sehenden Auges auf eine Entwicklung zugehen kann, die offensichtlich erstens zu einem Abbruch jedweden Unterrichts in zufällig betroffenen Jahrgangsstufen und zweitens zu einer gesundheitlichen Gefährdung meiner Kolleg*innen, unserer Schüler*innen sowie deren Umfeld führt.

Mit freundlichen Grüßen, Lambert Austermann (Schulleiter)