Die Demokratisierung des Pinsels oder die Qualitäten eines TV-Malers: Bob Ross im Kunstunterricht

Ein Tweet von Björn Nölte, in dem er mit der Community eine unlängst erworbene Devotionalie von Bob Ross feiert (s.u.), ist Anlass für diesen Blogeintrag. Es soll hier gezeigt werden, warum es sich lohnt seine Videos nicht nur vergnüglich zu rezipieren, sondern auch zum Gegenstand einer gemeinsamen bildnerischen Reflexion im (Kunst-)Unterricht zu machen.

Jenseits des Kitsch-Etikettes 

Jede Nacht und am Wochenende auch tagsüber produziert der amerikanische TV-Maler Bob Ross im bayrischen Bildungskanal BR alpha ein Landschaftsbild in der von ihm individuell adaptierten „Nass-in-Nass-Technik“. Aus einem verfügbaren Standardrepertoire an Bäumen, Bergen und Gewässern entsteht dabei jedes Mal in nur einer halben Stunde ein fertiges Ölbild auf einer zuvor mit Flüssigweiß grundierten (leeren) Leinwand (vgl. Abb. 1).

Versieht man das harmonistische Oeuvre von Bob Ross mit dem Epithon „kitschig“, so entspricht dies vermutlich nicht nur dem kunstpädagogischen common sense. Obwohl „Kitsch“ spätestens seit den Arbeiten von Jeff Koons und dessen Nobilitierung des Banalen längst kein Ausschlusskriterium mehr für Kunst bzw. den Kunstdiskurs darstellt (vgl. Liessmann 2002), verweist die Verleihung des „Kitsch“-Etiketts noch immer auf die faktische Gültigkeit eines bildungsbürgerlichen Distinktionsparadigmas. Die Minderwertigkeit kitschiger Artefakte begründet etwa Pierre Bourdieu mit deren unmittelbarer Zugänglichkeit. Kitsch ist demzufolge das, was „von der Bildung her wenig ‚kostet’“ (Bourdieu 1987, S. 757), also keines kulturellen Kapitals zu seiner Dekodierung und reflexiven Aneignung bedarf.

Abb. 1: Selbstversuch des Autors: Eine Landschaft á la Bob Ross. Öl auf Malkarton, 60x40cm.

Wenngleich im Kunstunterricht die Werke eines Bob Ross als Ankerpunkt für eine Auseinandersetzung mit Definitionen und kriterialen Grundlagen des Kitsches geeignet scheinen, wird an dieser Stelle eine andere Fokussetzung vorgenommen: nicht das fertige Produkt sondern dessen Gestaltungsprozess soll in den Blick genommen werden. Denn der posthume Kultstatus des bereits 1995 verstorbenen Bob Ross gerade auch unter Jugendlichen, erklärt sich vor allem durch die Art und Weise der dort praktizierten „Kunst“-Vermittlung. Insbesondere die Differenzqualitäten zu propagierten Konzepten der schulischen Kunstdidaktik erweisen sich dabei als produktive Basis für eine Erörterung von Gütekriterien und qualitativen Bedingungsfaktoren für das Lehren und Lernen bildnerischen Gestaltungsvermögens. Erprobt wurde dieses Vorhaben in einem Kunst-Grundkurs der Jahrgangsstufe 12 an dem Gymnasium Harsewinkel. Der metakognitive Schwerpunkt der dreistündigen Unterrichtssequenz wurde dabei zuvor mit den Kursteilnehmern abgesprochen. Mit Hilfe einer Bob Ross Workshop-DVD, Online-Videos im Stream, Laptops und Pads sowie entsprechendem Malequipment hatten die Schüler:innen eine Doppelstunde Zeit, individuelle Video-Lehrgänge ebenso wie die dazu erforderlichen Techniken und Utensilien auszuprobieren. Einige Schülerinnen versuchten sich gleich am kompositorischen Gesamtaufbau eines Bildes (vgl. Abb. 2), andere konzentrierten sich demgegenüber auf die Einübung einzelner Gestaltungstechniken zur Genese bestimmter Bildkomponenten, wie z.B. diverser Nadel- oder Laubbäume. Die nachfolgenden Leitfragen dienten dabei als Orientierungspunkt für die Praxis- und anschließende Reflexionsphase:

Abb. 2: Schülerin (Kl. 12) bei der Erzeugung eines Bergmassivs nach Anleitung

Qualität der Lehre?

Der medialisierte Lehrgang installiert ein traditionelles Experten- Novizenverhältnis, in dem die Schüler:innen vor dem TV das nachzuvollziehen haben, was der Lehrer vorgibt. Gleichwohl hält Bob Ross seinen Frontalunterricht so ab, dass die Jugendlichen zum Ausharren und Ausprobieren animiert werden. Mit ruhiger und unaufdringlicher Stimme gibt er dabei Einblick sowohl in operationale Vorgänge des Farbauftrags und der Pinselführung als auch in seine eigenen z.T. situativ generierten Gestaltungsvorhaben. Gerade durch ein solches explizites Modellieren innerer Gedankengänge im „Dialog“ mit dem Bild wirken seine Ausführungen für die Schüler:innen authentisch und vorbildhaft. Zugleich nimmt er sein Publikum ernst, indem er stets auch die subjektive Relativität seiner bildnerischen Entscheidungsprozesse betont und seine Schüler:innen zu jeweils individuell kompositorischen Abweichungen ermuntert und auffordert. Die Videos via Stream oder DVD ermöglichen überdies ein komfortables Anhalten und „Spulen“ des Lehrgangs und damit eine Anpassung desselben an die unterschiedlichen Arbeitstempi der Schüler:innen.

Qualität der Technik?

Zu einer sinnvollen Erweiterung der schulisch habitualisierten Malpraxis tragen weiterhin die von Bob Ross vorgeführten Techniktipps bei. Vor allem die zielgerichtete Verwendung des 2-Zoll-Pinsels (vgl. Abb. 3) und des Spachtels zur Erzeugung naturalistischer Effekte verhelfen – mit Bezug auf Heinrich Wölfflin– zu der Aufwertung eines malerischen gegenüber einem einseitig linearen Darstellungsstil. Anstatt die Konturzeichnung als notwendige Basis figurativer Malerei anzuerkennen, erzeugt Bob Ross seine illusionistischen Bildelemente jeweils aus einer Synthese abstrakter Malspuren. Besondere Beachtung verdient dabei die dargebotene Varianz der Pinselführung und des Farbauftrags. Vom kreuzweisen Pinselduktus bis hin zum Tupfen und Stoßen des Pinsels wird den Schüler:innenn hier die vielfältige Einsatzfähigkeit eines einzelnen Malmediums präsentiert. Die eigene Experimentalphase verdeutlicht den Schüler:innen zudem, dass die scheinbar so simpel anmutenden Handlungsvollzüge selbst einer sukzessiven Übung bedürfen, bevor sie die intentionsgemäßen Effekte hervorbringen.

Abb. 3: Verwendete 2-Zoll-Pinsel und Malmesser.

Qualität der Materialen?

Dass die Bob Ross Inc. gegenwärtig noch immer ein prosperierendes Wirtschaftunternehmen darstellt, hängt sicherlich auch zu einem Großteil von dem erfolgreichen Vertrieb der in der TV-Sendung „Joy of Painting“ beworbenen Malutensilien ab. Für die Unterrichtssequenz wurde von dem Schuletat ein Grundsortiment, bestehend aus 2-Zoll-Pinsel, Fächerpinsel, Spachtel und Scriptliner im halben Klassensatz angeschafft. Kontrastiv dazu erhielten die Schülerinnen allerdings auch entsprechende Simulakren, wie Lasurpinsel und Plastikspachtel aus dem Baummarkt. Der Vergleich sollte die Kursteilnehmer zu einer Kosten-Nutzenanalyse motivieren. So erkannten die Schülerinnen etwa, dass der mit Kontergewichten im Griff ausgestattete Bob-Ross-Malspachtel sich wesentlich besser als sein Plastikpendant dazu eignet, pastose Brechungen des Titanweiß zu erzielen, welche z.B. für die illusionistische Darstellung von Gebirgsschnee benötigt werden. Insgesamt steigert eine solche Kontrastierung  zum einen die Sensibilität der Schüler:innen für hochwertige Materialien, zum anderen werden diese jedoch auch zu einer kreativen Suche nach kostengünstigen Alternativen animiert.

Innerhalb der anschließenden Reflexionsphase kam der Begriff „kitsch“ nicht einmal auf. Dies zeigt einmal mehr, dass zwar die Rezeption eines Bob Ross Bildes kitschig anmuten kann, nicht aber das selbsttätig bewusste Praktizieren der zugrundeliegenden Technik sowie das Nachdenken über dessen Vermittlung – Je größer der Fundus an verfügbaren bildnerischen Verfahren und Lernmethoden, desto höher die potentielle Substanzdichte entsprechender Qualitätsurteile der Schüler:innen auf diesem Sektor.

(Der Text basiert auf einem älteren Beitrag, der erstmals in der BÖKWE, dem Fachblatt des Berufsverbandes Österreichischer Kunst- und Werkerzieher:innen, H. 4, 2010, erschienen ist.)

Literatur:

  • Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987 (=suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Bd. 658).
  • Heger, Christian: Der Maler ist tot, es lebe der Maler. Fernseh-Kult: Bob Ross. In: FAZ (30.09.2009).
  • Liessmann, Konrad, Paul: Kitsch! oder Warum der schlechte Geschmack der eigentlich gute ist. Wien: Brandstätter 2002.

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