Offener Brief zur Schulpolitik in der Pandemie

An den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Armin Laschet
An die Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Frau Yvonne Gebauer

Offener Brief zur Schulpolitik in der Pandemie

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Laschet, sehr geehrte Frau Ministerin Gebauer,

als verantwortlicher Schulleiter wende ich mich heute an Sie – in Sorge um den Fortbestand des Unterrichts und die Gesundheit aller Menschen in der Schulgemeinde.

Die Strategie eines absoluten Vorrangs von Präsenzunterricht führt unter den gegenwärtigen Bedingungen zu einer weiteren, exponentiellen Ausbreitung des Covid-19-Virus in den Schulgemeinden (und darüber hinaus) sowie in der Folge zu inzwischen weit um sich greifendem Ausfall von Unterricht.

Der Vorrang des Präsenzunterrichts beruht auf der richtigen und natürlich nachvollziehbaren Sorge um das psychische Wohl der Kinder, der – nach den Erfahrungen der „ersten Welle“ – Vermeidung einer Überlastung der Familien und dem Ziel der Bildungsgerechtigkeit. Diese Sorge verkehrt sich aber in ihr Gegenteil, wenn sie in der Praxis zu Problemen führt, die weder von den Schulen noch von den Elternhäusern dann mehr aufgelöst werden können.

Die selbstverständlich richtige Grundüberzeugung der gegenwärtigen Schulpolitik, dass „Schüler*innen soziale Kontakte brauchen“, steht im Widerspruch zum Umgang mit der Pandemie in der Gesamtgesellschaft, der gerade auf eine größtmögliche Reduzierung von Kontakten beruht. Die aktuelleEntwicklung zeigt, dass Schulen – jedenfalls unter den gegenwärtigen räumlichen und personellen Bedingungen – kein „sicherer Ort“ sind, sondern sich die Pandemie auch hier exponentiell ausbreitet.

Ich möchte betonen, dass nach meinem Eindruck alle Kolleg*innen ebenso wie die verantwortlichen Mitarbeiter*innen der Schulträger und der Schulaufsicht mit vollem Engagement und Verantwortungsbewusstsein alles unternehmen, um die Infektionsgefahr in den Schulen gering zu halten und die sozialen, psychischen und kognitiven Folgen der Pandemie abzufedern. Dennoch wird immer deutlicher, dass die Präventionsmaßnahmen, die uns zur Verfügung stehen, wie Alltagsmasken, Desinfektion und Lüften nicht ausreichend sind und nicht ausreichend sein können. Ich kann mich deshalb des Eindrucks nicht erwehren, dass Lehrer*innen und Schüler*innen ohne ausreichenden Schutz in eine offensichtliche Risikosituation geschickt werden und zugleich der Fortbestand des Unterrichts gefährdet wird.

In dieser Situation scheint es mir zwingend notwendig, differenziert auf die gegenwärtig zentralen Funktionen von Schule zu reagieren: Betreuung jüngerer Schüler*innen in der Schule sowie soziale Einbindung und Bildungschancen für alle.

Mein Appell ist vor diesem Hintergrund, den Präsenzunterricht auf die jüngeren Jahrgänge und die Abschlussjahrgänge zu reduzieren und dort – durch das dann gewonnene Raumangebot – die Infektionsgefahr für alle Beteiligten wirksam zu verringern.

Für die älteren Jahrgänge liegen von pädagogischer und schulorganisatorischer Seite längst ausgearbeitete Konzepte für Distanz- oder Hybridunterricht vor, die lernförderlich sind und die vor allem auch den sozialen und kommunikativen Bedürfnissen unserer Schüler*innen Rechnung tragen. Derartige Konzepte enthalten auch Elemente, die solche Kinder wirksam unterstützen, die über keine räumlichen oder apparativen Bedingungen für das häusliche Lernen verfügen. Negative Konsequenzen für die Bildungsgerechtigkeit können so – jedenfalls weitgehend – vermieden werden.

Deshalb plädiere ich dafür, für einen gewissen Zeitraum den Schulen in Abstimmung mit der Elternschaft die Möglichkeit zu geben, in manchen Jahrgängen den Präsenzunterricht zu reduzieren und zum Beispiel im Wochenwechsel zu organisieren. Auf diese Weise kann sowohl der Infektionsschutz wie auch die Fortdauer des Unterrichts für alle Schüler*innen eher gesichert werden.

Wir sind uns alle einig, dass ein durchgehender Präsenzunterricht die optimale Lernumgebung für unsere Schülerinnen und Schüler darstellt. In der gegenwärtigen, pandemischen Situation ist dieses Ziel aber nicht erreichbar, sondern wird zunehmend zu einer reinen Fiktion.

Sie verstehen hoffentlich, dass ich als Schulleiter nicht sehenden Auges auf eine Entwicklung zugehen kann, die offensichtlich erstens zu einem Abbruch jedweden Unterrichts in zufällig betroffenen Jahrgangsstufen und zweitens zu einer gesundheitlichen Gefährdung meiner Kolleg*innen, unserer Schüler*innen sowie deren Umfeld führt.

Mit freundlichen Grüßen, Lambert Austermann (Schulleiter)

2 Replies to “Offener Brief zur Schulpolitik in der Pandemie”

  1. Schön, dass ihr euch hier die Mühe macht. Aber leider wird es nichts bringen. Herrn Laschet und Co. liegen seit Beginn der Pandemie derartige Pläne vor. Ich hab selbst an sowas mitgeschrieben. Es interessiert sie nicht die Bohne, so schlicht und einfach ist es. Vielleicht kommen auch noch intellektuelle Hindernisse beim Verständnis dazu, mag sein. Aber auch das werden wir nicht lösen können. Alles Gute und danke für die tollen Impulse. Vielleicht kann man sie ja in der nächsten Pandemie aufgreifen.

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